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Vibe Coding unter der Lupe

26. Mai 2025
Larissa Arthofer

Vibe Coding beschreibt einen neuen, KI-getriebenen Programmierstil, bei dem Intuition den Takt vorgibt – und künstliche Intelligenz den Code.
 

Der Begriff schleicht sich gerade leise, aber bestimmt ins Entwickler-Vokabular. In der klassischen Softwareentwicklung folgen auf eine Idee oft viele Schritte: Planung, Architekturentscheidungen, Tests, Reviews – und erst dann der Code. Vibe Coding kehrt diesen Ablauf um. Hier steht nicht mehr der strukturierte Prozess im Mittelpunkt, sondern der kreative Impuls. „Vibe“ heißt: Man hat ein Gefühl, eine Idee – und schreibt sofort los. Möglich wird das durch moderne KI-Coding-Assistenten wie GitHub Copilot oder Cursor, die ganze Codeblöcke vorschlagen, sobald man den ersten Halbsatz tippt.

Die Arbeit verlagert sich – weg vom aktiven Tippen, hin zum Prompten, Strukturieren und Prüfen maschineller Vorschläge. Wer heute codet, denkt in Bausteinen, die oft nicht mehr selbst geschrieben, sondern zusammengesetzt, angepasst und bewertet werden. Im besten Fall entsteht so in Minuten, was früher Tage gebraucht hätte: Funktionierender Prototyp-Code, der eine Idee zum Leben erweckt.
 

Warum alle plötzlich im Vibe sind

Spätestens seit 2024 hat sich der Einsatz von AI-Coding-Assistants massiv verbreitet. Laut Stack Overflow nutzen inzwischen 63 % der Profientwickler:innen KI im Alltag. Die Devise: schneller schreiben, schneller deployen. Vibe Coding setzt da an, wo klassische Prozesse bremsen: beim schnellen Umsetzen erster Ideen.

Oder wie Andrej Karpathy, ehemaliger Director of AI bei Tesla und Founding Member von OpenAI, es formuliert:

For stable production software, human oversight, code reviews, and rigorous testing still matter. But when it comes to prototyping, exploring new ideas, or building early-stage products? Vibe coding makes it possible to go from ‘what if…’ to ‘here’s a working demo’—faster than ever.

Ein eindrucksvolles Beispiel für Vibe-Coding ist Debuild – eine Plattform, mit der sich Web-Apps allein durch Spracheingabe erstellen lassen. Nutzer:innen tippen Sätze wie „Erstelle ein Dashboard mit Nutzer:innen-Tabelle und Umsatz-Diagramm“ – und erhalten innerhalb von Sekunden funktionierenden React-Code.
 

SWOT-Analyse: 
Vibe Coding im Reality Check

StrengthsWeaknesses

Schneller Prototyping-Flow

Geringere Mentale Einstiegshürde

Ermöglicht kreative Exploration

Ideal für frühe Ideen und Demos

Hoher Anteil an Code Duplikationen

Niedrige Wartbarkeit

Sicherheitslücken durch fehlende Reviews

Geringere Codequalität bei komplexen Projekten

OpportunitiesThreats

Democratizing Code: mehr Menschen coden

KI wird zum Ideenbeschleuniger

Schneller MVP-Bau für Start-ups

 

„Mehr Code ≠ bessere Software“

Verdrängung von Engineering-Prinzipien

Wachsende technische Schulden in produktivem Code

Vertrauen in KI kann trügen (DORA: -7,2 % Delivery Stability je 25 % AI-Zuwachs)


Empirische Analyse: 
Codequalität im Fokus

Die GitClear-Studie 2025 analysierte 211 Millionen Codezeilen (aus 2020–2024) aus Repositorys von Tech-Giganten wie Google, Microsoft und Meta – mit dem Ziel, den Einfluss von KI-Assistenten auf die Codequalität messbar zu machen und Unterschiede zu nicht KI-unterstütztem Code hervorzuheben. Das Ergebnis:

  • +12 % mehr Copy/Paste-Code
  • –60 % weniger „Moved" Code (Refactorings)
  • +26 % mehr Code mit Short-Term Churn
  • 10-facher Anstieg von Code-Duplikaten (5+ Zeilen) in nur zwei Jahren

Die Studie spricht von einer klaren Tendenz: Wir werden produktiver – aber auf Kosten von Wiederverwendbarkeit, Qualität und langfristiger Wartbarkeit. Statt solide zu refactoren, tendieren wir dazu, Code zu kopieren, der gerade funktioniert – auch wenn er an anderer Stelle längst vorhanden wäre. In 57,1 % der analysierten Code-Klone – insgesamt 3.113 gemeinsam veränderten Codezeilenpaaren – wurden später Bugs gefunden.

Kurz gesagt: KI liefert einen brauchbaren Erstentwurf. Doch ohne menschliche Nachbearbeitung bleiben Sicherheitslücken, ineffiziente Strukturen, Wartungskosten und Reibungsverluste nicht aus. Studien wie GitClear 2025 zeigen deutlich: KI-generierter Code schneidet bei Wartbarkeitsmetriken regelmäßig schlechter ab – mit mehr Duplikaten, kurzfristigem Churn und sinkender Wiederverwendbarkeit. 

Denn was auf den ersten Blick produktiv erscheint, birgt langfristig Risiken:

  • Duplikate: Wenn derselbe Code mehrfach auftaucht, müssen Änderungen an mehreren Stellen erfolgen – das erhöht das Fehlerrisiko und macht Wartung aufwändiger. Statt Code gezielt zu strukturieren und wiederzuverwenden, entsteht oft redundanter Ballast, der später schwer zu pflegen ist. Das widerspricht dem bewährten DRY-Prinzip („Don't Repeat Yourself“), das gerade in größeren Codebasen essenziell ist: Wiederholungen vermeiden, um Änderungen effizient und fehlerfrei vornehmen zu können.
  • Refactoring: Refactoring bezeichnet das gezielte Überarbeiten von bestehendem Code, um ihn klarer, strukturierter und wartungsfreundlicher zu machen – ohne die Funktionalität zu verändern. In der Praxis heißt das: aus doppeltem Code wird eine wiederverwendbare Methode, aus Spaghetti-Code eine lesbare Struktur. Wird Refactoring vernachlässigt, häuft sich technischer Schuldenballast an.
  • Short-Term Churn: Damit ist Code gemeint, der kurz nach dem Commit wieder geändert wird – oft ein Zeichen dafür, dass die ursprüngliche Lösung unausgereift war. Häufige Änderungen an denselben Stellen machen Fehler wahrscheinlicher und deuten auf konzeptuelle Schwächen im Codeverständnis oder in der KI-Vorschlagslogik hin.
     

Fazit: Smarter coden heißt nicht schneller tippen

Vibe Coding steht für Tempo, Kreativität und Leichtigkeit im Umgang mit KI – aber es ist kein Freifahrtschein. Die GitClear-Studie zeigt deutlich: KI macht uns schneller, aber nicht automatisch besser. Mehr Code bedeutet nicht automatisch mehr Qualität. Gerade bei Struktur, Wiederverwendbarkeit und Sicherheit bleibt menschliches Know-how unverzichtbar.

Die besten Ergebnisse entstehen dort, wo beide Welten zusammenkommen: KI für den schnellen Prototyp, der Mensch für Strategie, Struktur und sauberen Code. Für stabile, produktionsreife Software braucht es weiterhin Reviews, Tests und Architekturentscheidungen. Aber beim Experimentieren, Testen und Denken in Ideen? Da entfaltet Vibe Coding sein volles Potenzial – und bringt uns in Rekordzeit von „Was wäre wenn?“ zu „Hier ist es schon“.

Vibe coding isn’t about coding less—it’s about coding smarter, with the human brain focused on strategy, not syntax.
 

Takeaway: 3 Dinge, die man über Vibe Coding wissen sollte

  1. Vibe Coding ist ein KI-gestützter Programmierstil, der schnelle Prototypen und kreative Ideen ohne klassische Planung ermöglicht – ideal für MVPs, aber nicht für stabile Produktivsysteme.
  2. Die Codequalität leidet, wenn menschliche Kontrolle fehlt: Studien zeigen mehr Duplikate, schlechtere Wartbarkeit und häufige Änderungen bei KI-generiertem Code.
  3. Die beste Lösung ist hybrid: Vibe Coding als Einstieg, strukturiertes Engineering für den Feinschliff. Oder anders gesagt: KI bringt den Vorschlag – du bringst das Handwerk.


Quellen:

https://www.datacamp.com/blog/vibe-coding
https://www.codingtemple.com/blog/what-is-vibe-coding-exploring-its-impact-on-programming/
https://www.gitclear.com/ai_assistant_code_quality_2025_research
AI Copilot Code Quality Report- Evaluating 2024's Increased Defect Rate via Code Quality Metrics